Den richtigen Ton getroffen
Konzert der Böblinger Kantorei am 23.3.2014 in der Stadtkirche


Von Jan Renz
Mit freundlicher Unterstützung der KREISZEITUNG Böblinger Bote
Foto-dfs: Böblinger Kantorei

BÖBLINGEN. Der Chor steht, das Orchester sitzt, aber es herrscht lange Stille in der Stadtkirche. Bald wird klar, warum: Bevor man dieses Bach-Konzert beginnt, will man das große Glockengeläut abwarten. Erst dann gibt Dirigent Eckhart Böhm den Einsatz.
Johann Sebastian Bach ist immer aktuell, aber gegenwärtig besonders in der Region: In Sindelfingen finden gerade Bachtage statt, dem großen Komponisten widmete man sich jetzt auch in Böblingen: Die Kantorei unter ihr em Leiter Eckhart Böhm hat in der Stadtkirche drei markante Bach-Kantaten aufgeführt, aus unterschiedlichen Schaffensphasen. So wurden einige Facetten des einstigen Thomaskantors beleuchtet.
Die Kantate hatte für Bach zentrale Bedeutung. In allen Schaffensphasen beschäftigt er sich mit dieser Gattung. Ganz systematisch erschloss er sie sich aber erst in der Leipziger Zeit ab 1723. Das Bach-Werke-Verzeichnis führt etwa 200 Kantaten auf, die Vielfalt ist enorm. In der Stadtkirche erlebte man unterschiedliche Facetten: Einmal sorgt eine Trompete für Glanz („Bringet dem Herrn Ehre seines Namens“), ein andermal konzentriert sich der Komponist ganz aufs Wesentliche („Aus der Tiefe“).
Jede dieser Kantaten hat einen eigenen Ton, aber expressive Musik ist es immer. Bach ist wandlungsfähig, aber immer erkennbar. Die Akteure setzten ganz auf Ausdruck: Der Concentus Böblingen, ein kleines Kammerorchester, musizierte von Anfang an expressiv, die Böblinger Kantorei stand dem in nichts nach. Sie legte die Vielschichtigkeit der oft schwierigen Chorsätze frei, sang lebendig und gleichzeitig verinnerlicht, Eckhart Böhm hatte seine Musikerinnen und Musiker sorgfältig vorbereitet. Das erlebte man schon im expressiven Eröffnungswerk „Du wahrer Gott und Davids Sohn“ BWV 23, die Kantate stammt aus der Köthener Zeit (1717-1723). Der Anfang gehört den Gesangssolisten, es dauert zehn Minuten, bis der Chor zum Zug kommt. Sopran (Ellen Majer) und Alt (Sabine Schilling) singen im Wechselspiel. Diese Duett-Soli sind typisch für die Köthener Gratulationskantaten. Mit diesem Musikstück bewarb sich Bach übrigens um das Kantorat in Leipzig, letztlich mit Erfolg. Aus dem ersten Jahr in Leipzig (1723) stammte denn auch die zweite Kantate des Abends: „Bringet dem Herrn Ehre seines Namens“ BWV 148.
Typisch für diese Leipziger Kantaten sind der aufwendige Eingangschor und der schlichte, berührende Abschlusschoral. Die Kantorei gestaltete den Eingangschor als weite, pulsierende Linie und den Schlusschoral klangschön. Im Mittelpunkt der Kantate standen aber die Gesangssolisten: Sabine Schilling und Tenor Clemens König waren sehr gefordert. Das ist oft überschwängliche Musik. Introvertierter, aufs Wesentliche konzentriert, fast karg zeigte sich die Kantate, die am Ende stand: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ (BWV 131). Es ist wirklich tiefe Musik, sie beginnt auch in der Tiefe, der Chor setzte das und später auch das „Ich harre des Herrn“ plastisch um. Entstanden ist das Werk in der Mühlhausener Zeit (1707-1708), war also die früheste Kantate des Konzerts in der Stadtkirche. Bach demonstrierte mit ihr den Menschen in Mühlhausen, „dass er fähig und begierig war, sie neuen musikalischen Horizonten entgegen zu führen“ (so der Musikwissenschaftler Christoph Wolff).
Kunstvoll arbeitet Bach mit mehreren Ebenen, mit zwei Perspektiven – der Bass (herausragend: Bernhard Hartmann) formuliert: „Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte“. Diesem Arioso setzt der Sopran einen Choral entgegen: „Auf dass ich nicht mit großem Weh / In meinen Sünden untergeh“. Etwas später verfahren Tenor und Alt nach dem selben Modell.
Wer diese Bach-Kantate BWV 131 noch einmal hören will: Am kommenden Sonntag wird sie in der Versöhnungskirche auf dem Goldberg und am Karfreitag, 18. April, in der Sindelfinger Martinskirche aufgeführt, vom Chor und Orchester des Martinskantorats Sindelfingen. Das Interesse an Johann Sebastian Bach ist nach wie vor ungebrochen: Das Konzert in der Böblinger Stadtkirche war ausgesprochen gut besucht.
Stille am Anfang, Stille am Ende: die lange, tiefe Ruhe nach der letzten Kantate zeigte, dass die Kantorei und der Concentus Böblingen den richtigen Ton getroffen hatten.