Klang und Bewegung im engen Miteinander
Überzeugende Musikdarbietung, spannende Tanzeinlagen: Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms in St. Maria in Böblingen

Ein deutsches Requiem von JohannesBrahms ist ein überaus wichtiges und häufig aufgeführtes Werk. Eine besondere Darbietung erlebte das Publikum am Sonntag in St. Maria in Böblingen zum einen wegen der klanglichen Qualität, zum anderen weil die Musik mit Tanz verknüpft wurde: ein spannendes Experiment.


Von Jan Renz -- Mit freundlicher Unterstützung der KREISZEITUNG Böblinger Bote

Ungewohnte Bewegungen zwischen den Kirchenbänken: Die Tänzerinnen und Tänzer
interpretierten die Werkinhalte auf ihreWeise. KRZ-Foto: Thomas Bischof

BÖBLINGEN. Mehrere Ensembles waren an der Aufführung dieses großen geistlichen Musikstücks am Sonntag beteiligt: Die Böblinger Kantorei sang gemeinsam mit dem Kammerchor des Albert-Einstein-Gymnasiums (AEG) – hinzu kamen der Concentus Böblingen als Orchester und ein Modern- Dance-Ensemble der SMTT in Sindelfingen.
Gleich zu Anfang wurde eine Ansage gemacht: Kantor Eckhart Böhm konnte aus gesundheitlichen Gründen die Leitung des Konzerts nicht übernehmen. Dafür sprangen zwei Kollegen ein: Dirigierprofessor Manfred Schreier und „Requiem“-Experte Daniel Joos. Schreier dirigierte das Violinkonzert von Alban Berg, mit dem das Konzert begann. Die ersten beiden Teile des „deutschen Requiems“ leitete die AEGChorleiterin Simone Reißing-Szab´o – das war so vorgesehen –, ab dem dritten Satz kam dann Daniel Joos zum Zug.
Rund 15 Jahre arbeitete Brahms an seinem „Requiem“. Schon auf die Zuhörer der Uraufführung im Jahr 1869 machte es einen tiefen Eindruck. Sie waren sich bewusst, einem epochalen Ereignis beigewohnt zu haben. Seitdem wurde das Werk wieder und wieder aufgeführt – so oft wie wenige Werke der Musikgeschichte.
In der Region widmete sich zuletzt der Sindelfinger Kammerchor (2007) und die Cappella nuova an der Sindelfinger Martinskirche (2010) dieser berührenden Totenmesse, am kommenden Wochenende führt die Herrenberger Kantorei das Brahms- Werk auf. In der katholischen Kirche St. Maria gelang der Böblinger Kantorei und dem AEG-Chor am Sonntagabend nun eine sehr überzeugende Wiedergabe. Sie zeigten, dass sie zu den wichtigen Vokalensembles der Region gehören.
Dunkel und leise beginnt das „deutsche Requiem“. „Selig sind, die da Leid tragen“. Die Chöre sangen das samtig und weich, mit leichtem, geheimnisvollem Klang. Das „Denn alles Fleisch“ wurde dagegen kraftvoll formuliert. Die Dirigentin Frau Reißing- Szab´o ließ die Stimmen strahlen, im Pianissimo wie in den schmetternden Fortissimopassagen. Die reichen Facetten der Partitur kamen so zur Geltung.
Ab dem dritten Satz übernahm dann der junge, energische Daniel Joos das Dirigat, auch er modellierte schöne Details. Das „Wie lieblich sind Deine Wohnungen“ klang wirklich lieblich. Mit den großen Fugen hatten die Chöre keine Mühe. Brahms war ja ein Meister des Kontrapunkts, äußerst kunstvoll baut er seine Messe auf. Die Bariton- Soli übernahm Bernhard Hartmann, mit angenehm warmem Klang. Susann Hagels Sopransolo klang ausdrucksvoll. Unterstützt wurden die Chöre vom Concentus Böblingen, das Ensemble führte eine Fassung für Kammerorchester von Ingo Schulz auf. Mit engagiertem Spiel ergänzte das Musikensemble die Stimmen.
SMTT-Ensemble tanzt so sensibel wie die Chöre singen
Verbunden wurden die einzelnen Sätze des „Requiems“ durch Tanzchoreografien, dargeboten von Mitgliedern des Modern Dance Tanztheaters der SMTT Sindelfingen unter der Leitung von Monika Heber-Knobloch. Grazile Tänzerinnen und Tänzer in Weiß vertiefen auf ästhetische Weise die Musik, am Anfang mit Teelichtern, die das Licht im Dunkeln symbolisieren. Die elastischen Tänzer können viel ausdrücken: Trauer und Zuversicht, Leiden und Freude, immer gibt es Spannungen zwischen den Figuren. Einmal scheinen die Tänzer auf schmalem Grat zu balancieren. Sie tanzen so sensibel wie die Chöre singen: „Denn wir haben hier keine bleibende Statt“.

Mit Nachdruck unterstrichen die Sängerinnen und Sänger das „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“. Immer wieder wurde die positive Botschaft des Werks betont. Der Glaube an die Auferstehung steht im Zentrum. Am Ende kehrt die Musik zum Anfang zurück. Hell ließen die Chöre das Werk ausklingen: „Selig sind die Toten . . .“ Auch Alban Bergs Violinkonzert aus dem Jahr 1935 ist ein Requiem. Gewidmet ist es „Dem Andenken eines Engels“. Gemeint ist Manon Gropius, die im Alter von 18 Jahren an Kinderlähmung starb. Dieser Tod erschütterte Berg zutiefst. Zur Erinnerung an Manon schrieb er das Violinkonzert.
Mit diesem Werk begann das lange Konzert in St. Maria. Manfred Schreier ließ die modern schillernde Partitur leuchten, sie beginnt mit einer Zwölf-Ton-Reihe. Mathias Neundorf war der expressive Geigensolist. Er besaß einen schmelzenden Ton. Im Orchester tat sich die Trompete hervor. Am Ende verbreitet ein Bach-Choral Trost und Zuversicht: „Es ist genug.“ Berg schloss die Komposition kurz vor seinem Tod ab. So wurde es auch ein Requiem für ihn selbst.