Pfoten statt Prankenhiebe


Böblingen: Brahms-Requiem mit Chören, Orchestern und SMTT-Tanzensembles in der Marienkirche


Von Bernd Heiden
-- Mit freundlicher Unterstützung der Sindelfinger Zeitung - Böblinger Zeitung

Unter keinen günstigen Vorzeichen stand die Aufführung von Johannes Brahms’ „Ein Deutsches Requiem“ und Alban Bergs Violinkonzert mit einem Böblinger Fusionschor, dem Orchester Concentus Böblingen und Choreographien der Sindelfinger SMTT-Tanzwerkstatt in der Kirche St. Maria. Wegen Krankheit hatte Eckhart Böhm kurzfristig die Leitung des Konzerts absagen müssen. Die Veranstaltung fand dennoch statt.


In die Bresche sprang als Dirigent von Alban Bergs Violinkonzert der Trossinger Professor Manfred Schreier. Wie längst geplant und im Programm ausgewiesen, dirigierte Simone Reißing-Szabó die ersten beiden Sätze des Brahms Requiems. Sie hatte mit dem Kammerchor des Böblinger Albert-Einstein- Gymnasiums (AEG) das Werk einstudiert. Der Schülerchor zusammen mit der Böblinger Kantorei bildete den Konzertchor. Und für die letzten fünf Brahms-Sätze wurde Daniel Joos verpflichtet.

Der junge Dirigent arbeitet unter anderem als Leiter des B-Chors für die Hymnus- Chorknaben und hatte erst eine Woche zuvor das Requiem dirigiert. Obwohl das Konzert knapp vor der Absage gestanden hatte, ging letztlich alles ganz gut. Vielleicht auch, weil sowohl Eckhart Böhm wie Simone Reißing- Szabó und Daniel Joos bei Manfred Schreier studiert hatten.


Jugendliche Frische
Vor allem aber trug die seit Jahren gepflegte Zusammenarbeit von AEG und Stadtkirche Früchte. Dem fast hundert Köpfe starken Fusionschor aus Kantorei und AEG-Ensemble war gerade bei den Frauen die Jugendquote abzuhören. Selbst hohe Lagen bewahrten Frische-Reste. Aber auch insgesamt präsentierte sich der Chor mit or- dentlich ausgewogen männlich-weiblichen Stimmanteilen. Selbstredend schön, für dieses romantische Werk ein so großes Aufgebot zu haben: Die Stimmen tragen auch in den vielen, zarten Passagen.


Ohne in rohe Kraftsingerei zu verfallen, realisiert der Chor die wuchtigen Seiten des Brahms-Requiems. Angesichts der Situation überrascht durchaus, dass nicht nur unter Simone Reißing-Szabó, sondern auch unter Notdirigent Daniel Joos erkleckliches Leben die romantischen Linien beseelte, auch wenn hie und da Kantigkeit spürbar blieb. Dass die Männer ein paar Stellen offenbaren, die ein wenig eiern, die Frauen in Gänze stabiler wirken, kann, aber muss nicht mit der Aufführungssituation zusammenhängen. Rein auf die Chor-Seite bezogen wäre jedenfalls eine Konzertabsage jammerschade gewesen.


Mit Bernhard Hartmann (Bariton) und Susann Hagel (Sopran) singen passende, geschmeidige Solisten die Brahms-Arien, wobei Hagel etwas mehr Raumpräsenz gelingt als dem Bariton. Das Orchester Concentus Böblingen, besetzt mit Profimusikern aus der Region, hat schon oftmals seine Tüchtigkeit bewiesen. Untüchtig ist das Ensemble auch diesmal nicht. Allerdings ist das Orchester minimal besetzt: Bei Brahms wie Berg fehlt grob die Hälfte der von den Komponisten vorgesehenen Bläsermannschaft.


Kleine Besetzung
Mit beispielsweise nur zwei Bratschen und zwei Celli verbietet sich auch die Rede von einem romantischen Streicherapparat. Das Orchester kann klanglich damit einem so großen Chor nicht adäquat sein. Immerhin findet sich aufrichtigerweise im Kleingedruckten der Hinweis, dass hier Bearbeitungen gespielt werden. Zwar vermag sich so ein sehr kompetenter Violinsolist (Mathias Neundorf) mühelos über dem Ensemble zu halten, bei den giftigen Orchesterstellen Bergs gibt es so statt Prankenhieben allenfalls Pfotenpatscher.


Pfoten kamen tatsächlich und nicht nur bildlich später ins Spiel. Während einer Tanzeinlage von Monika Heber-Knoblochs Modern Dance Ensemble, wie alle Choreographien getanzt zwischen den Sätzen ohne Musik, schlich sich der große schwarze Hund Athos aus einem Nebenraum in die Kirche. An den Tänzerinnen schnuppernd und Schwanz wedelnd entlang fand der Flat Coated Retriever in der ersten Bankreihe schließlich sein Frauchen. Sopransolistin Hagele führte ihren Athos mitsamt dem Tanzensemble zurück in den Nebenraum.


Die Leitmotive der sieben Einzelchoreographien der Gruppe von der Schule für Musik, Theater und Tanz (SMTT) Sindelfingen bilden atmosphärisch intuitiv nachvollziehbar die Themen der Werke ab: Nicht nur Brahms, auch Berg kreist in seinem atonalen Porträt einer verstorbenen 18-Jährigen ums Thema Tod. Wers genauer haben will, dem liefert das Programmheft Stichworte zu konkreterer Musiktransformation ins Tanzvokabular.

Ohne diese Handreichung ist der Nachvollzug indes nicht durchgängig einfach. In Formationen, als Paare oder im Raum verteilte Solisten kreieren Tänzerinnen und Tänzer aber bisweilen Figuren, bei denen diese Bedeutungsdimensionen dank tänzerisch- ästhetischer Anmut auch schlicht vernachlässigbar sind.


Allerdings entfalten die Choreographien höchstens punktuell die Dynamik, die immer wieder die Musik bringt. Auch das Raumkonzept ist nicht selten problematisch: Kaum ein Besucher hat den Sitzplatz, der gestattet, die Choreographie in ihrer Gesamtheit mitzuverfolgen, sofern sich die Akteure zwischen den Bankreihen und an den Seiten über die halbe Kirche verteilen.