Schöne Momente in Hülle und Fülle

Die Böblinger Kantorei hat die Petite Messe solennelle von Gioachino Rossini in der St.-Maria-Kirche aufgeführt


Von Jan Renz
Mit freundlicher Unterstützung der KREISZEITUNG Böblinger Bote

Zu den eindrücklichen Erlebnissen der Vorweihnachtszeit gehören die großen Chorkonzerte. Auch die Böblinger Kantorei leistet dazu einen Beitrag. In St. Maria führte sie am Sonntag Rossinis „Petite Messe solennelle“ auf, am zweiten Advent. Die Aufführung vergegenwärtigte auf eindringliche Weise die Facetten Rossinis.


BÖBLINGEN. Er sei für die komische Oper geboren, heißt es in einem Brief, den Gioachino Rossini der Messe beigegeben hat. Das hört man dem Werk an. Auch wenn Rossini geistliche Musik komponiert, so vergisst er doch die Bühne nicht. Er war ein Theatermensch. Das war in Böblingen immer wieder zu hören.
Rossini konnte mit Melodien zaubern wie wenige andere Komponisten. 39 Opern hat er in relativ kurzer Zeit geschaffen. Auf der Höhe seines Ruhms zog sich Rossini vom öffentlichen Musikleben zurück und widmete sich der Kochkunst, seiner zweiten Leidenschaft.
Gegen Ende seines Lebens, mit 71 Jahren, überraschte er die Musikwelt noch einmal: mit der „Petite Messe solennelle“ wie er das Werk nennt, „Kleine feierliche Messe“. „Klein“ ist gut: Die Messe dauert rund 90 Minuten und ist mit ihren Innovationen eine Herausforderung für einen Laienchor. „Klein“ war höchstens die Besetzung: ursprünglich ist Klavier- und Harmoniumbegleitung vorgesehen. Drei Jahre nach der Uraufführung der Messe instrumentierte Rossini sie. In Böblingen erklang die reizvolle Fassung für Kammerorchester von Michael Weiger. Diese Messe sei „die schönste Komposition seiner späten Jahre“, stellte der Musikwissenschaftler Dirk Möller fest.
Ganz leise und zurückgenommen beginnt die Kantorei das Werk, dem „Kyrie“ werden ganz unterschiedliche Farben abgewonnen, das ist oft so in diesem Rossini-Werk: Einzelne Wendungen erscheinen in unterschiedlicher Beleuchtung, so etwa das „Credo“ („Ich glaube“). Das macht die Vielgestaltigkeit des Werks aus. Das „Et in terra pax“ („Und Friede auf Erden“) sang die Kantorei mit einem schwebenden Ton, von Dirigent Eckhart Böhm sicher geführt. Schöne Momente gibt es in dieser Messe in Hülle und Fülle. Die Frauenstimmen klangen auch in der Höhe voll und rund, auf die Männerstimmen war immer Verlass.
Im „Gloria“-Abschnitt stellten sich die Gesangssolisten vor, ein hochkarätiges Quartett: Der leuchtkräftige Sopran Angela Bics und der warme Mezzo Julia Rutiglianos gestalteten zusammen ein expressives Duett. Das Tenor-Solo „Domine Deus“ („Herr und Gott“) ist reine Oper, hier unterläuft Rossini den feierlichen Ton der Messe einmal. Stefan Heibach sang das kultiviert.
Die Solisten überzeugten, Bassist Johannes Held glänzte erneut
Als Autorität gestaltete Johannes Held seinen Part: Der Opernsänger gewann den Worten „Quoniam tu solus sanctus“ („Denn du allein bist der Heilige“) viele Schattierungen ab. Der Bassist tritt nicht nur bei seinem Kunstliedfestival „Der Zwerg“ auf, vor zwei Wochen glänzte er als Elias in Mendelssohns gleichnamigem Oratorium in Sindelfingen. Nicht ganz so umfangreich war seine Aufgabe in Böblingen. Aber auch hier gestaltete er eindrücklich.
Der unbestrittene Höhepunkt der Aufführung war die Fuge über „Cum sancto spiritu“ („mit dem Heiligen Geiste“). Sie gelang der Kantorei klangschön und lebendig. Rossini, der mit zwölf Jahren zum ersten Mal als Komponist hervortrat, verstand sein Handwerk: zwei kunstvolle Doppelfugen integriert er in seine Messe. In Böblingen klangen sie sehr natürlich, mit großer Leichtigkeit und Überzeugungskraft.
Rossinis spätes Werk ist auch ein Gegenentwurf zur riesenhaften sinfonischen Messe eines Anton Bruckner oder Franz Liszt. Die Pariser Presse erkannte nach der Uraufführung 1864 die Schönheiten des Rossini- Werks und hob vor allem die harmonischen Kühnheiten hervor. Die stechen heute nicht mehr so stark heraus. Der Chor darf oft ätherisch klingen. Rossini selbst hat in seiner spöttischen Art festgestellt: „Ich habe mit Dissonanzen nicht gespart, aber ich habe auch etwas Zucker verwendet.“
Das Orchester, der Concentus Böblingen, musizierte einmal ohne Chor: Das „Pr´elude religieux“ unterbricht den Fluss des Gesangs. Düster und depressiv klang das. Wenn die Streicher vor sich hin grübeln, denkt man an den späten Beethoven. In dieser Messe ist sehr viel enthalten: Arie und Fuge, das Einfache und das Komplexe, Düsteres und Glanzvolles. Dafür gab es in St. Maria minutenlangen Applaus.