Böblingen: Kantorei musiziert Rossinis „Petite Messe solennelle“

Truthahn statt Trüffel


Von Bernd Heiden, Mitarbeiter der SZBZ
Mit freundlicher Unterstützung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

„Petite Messe solennelle“, also „kleine feierliche Messe“, heißt Gioacchino Rossini letztes großes Werk. Für ihre Aufführung des Alterswerks des Opernkönigs zog die Böblinger Kantorei gemeinsam mit dem Instrumentalensemble Concentus Böblingen unter der Leitung von Eckart Böhm in die katholische Kirche St. Maria.

Die ist bekannt für eine Akustik, die Stimmen Flügel verleihen kann. Noch vor dem ersten Ton wird allerdings der Besucher beflügelt, sofern er rechtzeitig gekommen ist, um das Programmheft zu studieren. Stadtkirchenpfarrerin Gerlinde Feine hat darin eine so informative wie köstliche Programmeinführung um den ungekrönten König der komischen Oper geschrieben, der 40 Bühnenwerke komponierte, sich allerdings bereits mit 37 Jahren aus Paris und damit vom Opernbetrieb zurückzog.

Eine Leidenschaft hat er nie aufgegeben: die für gutes Essen. Dreimal habe er in seinem Leben geweint, so zitiert Feine ein Bonmot Rossinis: als sein Opernerstling durchfiel, Paganini Violine spielte und beim Bootspicknick ein getrüffelter Truthahn über Bord ging. Gehobene Tafelfreuden sollen auch die Medizin gewesen sein, mit der Gioacchino Rossini Licht und Freude in sein Leben brachte. Zeitlebens beutelten ihn Depressionen.

Eine Persönlichkeit, trotz Trübsinnsanfechtungen voller Humor und einem Hang zur Opulenz, tritt hier dem Leser entgegen. Eine passende Einstimmung auf die Messe, die Rossini im Alter von 72 Jahren komponierte anlässlich der Einweihung einer Privatkapelle eines befreundeten Grafen. Die Bezeichnung „kleine Messe“ ist im Übrigen ein Rossini-Scherz. Die Böblinger Aufführung in der Marienkirche ging inklusive kleiner Verschnaufpause für die Aktiven gute eineinhalb Stunden.

So war in dem Konzert nur das Orchester vergleichsweise klein besetzt. Eckart Böhm wählte statt der Orchesterfassung eine Kammerorchesterfassung mit nur sechs Streichern, fünf Bläsern, Orgel und Harmonium. Im Vergleich zur Erstfassung selbstverständlich eine große Besetzung. Ursprünglich hatte Rossini das Werk mit zwei Klavieren und einem Harmonium recht unkonventionell instrumentiert, was auch für die Kammerfassung gilt. So gibt’s zwar auch deutschromantisch Dunkles mit Streichern und Horn, ausgesprochen neckisch kommen dagegen viele herzhafte Blockflötenstupser daher.

Mit dem Harmonium scheint sich ein Akkordeon eingeschlichen zu haben, und die Holzbläser sind immer für einen angeheiterten Unterton gut. Dabei entpuppt sich das versierte, intonatorisch für ein paar Wimpernschläge aber optimierbare Orchester vom Format her als passend zur Gesamtkonstellation und keineswegs zu schmächtig. Im Gegenteil, mitunter neigt es zur Übertünchung der Vokalsolisten. Sofern die etwas zurückhaltender auftreten.

Denn Sopranistin Angela Davis, Mezzosopranistin Julia Rutiglanio, Tenor Stefan Heibach und Johannes Held (Bild: z) in der Bassistenrolle harmonieren gut bei großer Reichweite, wobei die Akustik die Mezzosopranistin im finalen „Agnus Dei“ schon in dramatische Dimensionen fliegen lässt. In den Soli dominiert im Übrigen legatosatter Belcanto zwischen Tränendrüse und Euphorie, süffig-schmachtend aber auch voll keuscher Demut. Für die Werkshöhepunkte immer mal wieder als Quartett mit dem Chor vereint, mobilisieren Solisten und Kantorei im Tutti an ausgesuchten Stellen durchaus kraftstrotzende Opernpower.

Von einer Wuchtaufführung ist das Konzert indes weit entfernt. Ausloten und Umsetzen auch von feinen Spannungsnuancen eines aufmerksamen Chors ist dagegen so typisch wie angemessen, denn Rossini vertonte den Messetext vielfach sehr kleinteilig. Vom Klangbild präsentiert sich die Kantorei insgesamt sehr ansprechend.

Das meist gute Harmonieverständnis schützt vor einer, auch das Solistenquartett kurz tangierenden etwas schwammigen Phase im a capella gesungenen „Sanctus“ nicht ganz, während die großen Fugen deutlich machen, dass, wie so oft, die Tenöre ein paar Kehlen mehr sein dürften. Unterm Strich kein Konzert der Marke Trüffel, aber Weihnachtstruthahn allemal.