Die Böblinger Kantorei feiert in diesem Jahr Geburtstag

50 Jahre bemerkenswerte vokale Akzente


von JAN RENZ; Kreiszeitung Böblingen, 2009


Böblingen - Am Anfang stand eine Aufführung von Bachs "Johannes-Passion". Der blutjunge Chorleiter Karl Böbel veröffentlichte in der Kreisstadt folgenden Aufruf: "Alle, die Freude an Bach'scher Musik haben, laden wir in einen eigens zur Erarbeitung dieses Werkes gegründeten Chor ein, der sich aus jungen Leuten Böblingens und Umgebung zusammensetzt. Die erste Probe findet am Samstag, den 14. 11. 59 abends 18 Uhr im Musiksaal der Ludwig-Uhlandschule in Böblingen statt." Das war die Geburtsstunde der Böblinger Kantorei. Sie hat in fünf Jahrzehnten bemerkenswerte Akzente gesetzt.

Ein Foto aus alten Zeiten: Die Böblinger Kantorei singt ein Ständchen (Quelle Foto: Böblinger Kreiszeitung)


Ein Mann der ersten Stunde ist Siegfried Schwarz. In der Zeit nach dem Krieg war kulturell in Böblingen wenig los, erinnert er sich. 1947 wanderte man gelegentlich nach Sindelfingen, um dort den Motettenchor zu erleben. Helmut Wolf würde Böblingen Jahre später als "steiniges Pflaster" bezeichnen. In Sindelfingen florierte das Musikleben stärker.
Der Gründer der Kantorei, Karl Böbel, war ausgebildeter A-Musiker, 23 Jahre alt, als er die Kantorei ins Leben rief. Einen Kirchenchor gab es damals schon in Böblingen, Böbel war Kantor an der Stadtkirche. "Er war sehr produktiv", stellt Schwarz fest, auch im Hinblick auf die Programmgestaltung. Man arbeitete etwa an alten Madrigalen.
Böbel war kompositorisch und auch lyrisch tätig. So dichtete er etwa: "Eines Sonntags ist die Stadtkirche von Zuhörern voll / hat sich doch jemand vergriffen an der Messe in h-moll." Höhepunkte aus 50 Jahren Böblinger Kantorei waren die Aufführungen von Händels "Saul" und des "War Requiem" von Benjamin Britten im Oktober 1983 im Gedenken an den Fliegerangriff auf Böblingen im Oktober 1943. Die Liste aller Aufführungen ist wirklich imposant, man könnte ein eigenes Buch darüber schreiben: Nicht nur das gewaltige Kernrepertoire wurde in Böblingen erarbeitet, auch Komponisten unserer Zeit kamen zu Wort wie etwa Gerhard Steiff, Wolfram Graf oder Arvo Pärt.
Außerdem gab es zahlreiche Chorreisen, etwa nach Südtirol oder ins Elsass, nach Reims oder Alba. In den letzten Jahrzehnten hat Siegfried Schwarz sechs Dirigenten erlebt: "Ich war bei allen dabei. Jeder war anders, und ich habe bei jedem etwas gelernt."
Am längsten leitete Helmut Wolf den Chor, von 1972 bis 1987. "Was mir auffiel: Es waren sehr viele Familien dabei", erinnert sich die Musiklehrerin Dorothea Stüwert, gebürtige Berlinerin, die seit 1973 in der Kantorei singt. In dieser Blütezeit wuchs der Chor auf 80 Mitglieder an. Als Gründe nennt der heutige Leiter Eckhart Böhm: "Wolf war charismatisch, und es war die Zeit." Die Choristen hatten großen Spaß, ungewöhnlich waren die Programme. Unter Wolf wurden 31 Bach-Kantaten in der Stadtkirche aufgeführt, daneben das Standardrepertoire. Es gab Uraufführungen und sogar einen Radiomitschnitt. "Herr Wolf war ein sehr strenger Dirigent", fanden die Choristen.
Auf Wolf folgte Johannes Uhle, der den Chor von 1987 bis 1999 betreute. Er legte Wert auf Feinheiten und konzentrierte sich auf kleinere und modernere Werke. "Man ging befriedigt aus den Konzerten heraus", stellt Dorothea Stüwert im Rückblick fest. In ihren Augen hat ein Chor wie die Kantorei auch eine soziale Funktion. Der Jazzer und AEG-Lehrer Tilman Jäger sorgte 2000 für frischen Wind. In seinen Konzerten konnte man auch Jazzklängen begegnen. Kurz vor ihm half der Sindelfinger Kirchenmusikdirektor Matthias Hanke aus (1999 bis 2000).
Eckhart Böhm ist seit 2005 für den Chor verantwortlich. Er würdigt die Arbeit der Vorgänger: "Es ist eine sehr gute Ausgangsbasis." Sehr wichtig ist ihm die Nachwuchsarbeit, die er im Jubiläumsjahr intensiviert, liegt das Durchschnittsalter seiner 40 Sänger doch jenseits vierzig. Böhm engagiert sich für den Kinderchor und geht in diese oder jene Grundschule. Er sucht aber auch regelmäßig den Kindergarten im Herdweg auf, um mit den Kleinsten zu singen. Dort ist Eckhart Böhm ein gern gesehener Gast: "Die Kinder freuen sich und die Erzieherinnen auch." Im letzten Jahr traten die jungen Choristen sogar mit der großen Kantorei auf, für sie sicher ein unvergessliches Ereignis. Darüber hinaus bietet Böhm Kinderkonzerte an, die von der Kantorei gestaltet werden. So arbeitet der Kantor an der Zukunft seines Vokalensembles und der des Böblinger Musiklebens.

Der nächste Auftritt der Böblinger Kantorei ist am Sonntag, 15. März in der Stadtkirche der Kreisstadt. Der Jubiläumsgottesdienst beginnt um 10 Uhr und wird zusammen mit dem Chor der Sindelfinger Johanneskirche gestaltet. Auf dem Programm stehen Schütz ("Lobe den Herren, meine Seele"), "Franck ("Psalm 150") und Rheinberger ("Vater unser"). Weitere Termine: Am 12. Juli erklingt beim Jubiläumskonzert Honeggers "König David" mit dem AEG-Chor. Am 26. September findet das Chorfest statt, und am 6. Dezember wird Bachs "Weihnachtsoratorium" aufgeführt.