22.03.2005

Böblingen: Johannespassion der Kantorei unter Professor Jäger

Energischer Chor überzeugt

Von unserem Mitarbeiter Bernd Heiden (SZBZ)

Die Aufführung von Bachs Johannespassion ist das letzte gemeinsame Projekt von Professor Tilman Jäger und der Böblinger Kantorei. In der Böblinger Stadtkirche lieferte Jäger mit der Aufführung von Bachs Vertonung der Passionsgeschichte nach dem Johannes-Evangelium noch einmal einen eindrucksvollen Nachweis, zu welcher Höhe er den Chor in seiner Zeit als Dirigent wieder geführt hat.

Im Vergleich zur populäreren Bachschen Matthäuspassion ist die Johannespassion das Oratorium, das dem Chor ein größeres Gewicht beimisst, das viel dramatischer, viel mehr wie eine Oper ohne Szene konzipiert ist. Nicht zuletzt wegen seiner unzähligen Turba-Chöre, die ein aufgeheiztes, hinterlistiges, ja bösartiges, gleichsam nach Blut lechzendes Volk personifizieren.

Dabei hat Bach in den entscheidenden Passagen weitgehend darauf verzichtet, die dramatische Zuspitzung durch die sonst üblicherweise eingeschobenen, reflektierenden Arien der Solisten, zu bremsen. Auch die Rolle des Evangelisten mit seinen Rezitativen, der ansonsten eher in der Position des neutralen Berichterstatters verharrt, hat Bach modifiziert. Wie das teils wuchernde Notenbild verrät, bleibt der Evangelist nicht unberührt von diesem im Vergleich zu anderen Weltreligionen doch einzigartig unerhörten Geschehen einer Gotteskreuzigung.

Die Musik explodiert

Die Version der Johannes-Passion, die die Kantorei nun in der Stadtkirche lieferte, stellt diesen dramatischen Gestus ins Zentrum und wird dabei wirkungsvoll von einem Evangelisten (Dietrich Wrase) als Rezitativsänger unterstützt, der es wie nur wenige versteht, die Affekte hochkochen zu lassen und Emotionen zum Rasen zu bringen. Manchmal knallt die Musik förmlich, explodiert, wenn Wrase singend ankündigt, wie das Volk geifert "Nicht diesen, sondern Barrabam" und er dabei extreme Beschleunigungen und Betonungen vornimmt.

Zum Opernchor mutiert

Die Kantorei selbst, die bereits am Vortag das Oratorium in Dettenhausen aufgeführt hatte zeigt sich in der Stadtkirche in den Turba-Chören extrem bissig und energisch, was auch dem erzählerischen Fluss dieses bilderlosen Musiktheaters zu Gute kommt. Sehr interessant dabei, was Jäger den Chor in den Chorälen machen lässt: Selbst hier mutiert das Ensemble teilweise noch zum Opernchor.

Die Alliteration "verlacht, verhöhnt und verspeit" etwa wird zusätzlich angeschärft durch quasi Sforzati. Auch wenn die Kantorei freilich in anderen Chorälen herzlich-anrührende Töne anschlägt, die Aggression, die in dieser Passion steckt, macht diese Interpretation mehr als deutlich.

Enorme Plastizität

Als Gegenpol dazu agiert ein sanftmütiger Dominik Hosefelder als Bass in der Jesusrolle, für die weniger bedeutenden Solistenrollen wurden mit einer etwas stärker als die übrigen Solisten vibrierenden Isabelle Müller-Cant (Sopran) und einer wunderschön timbrierten Altstimme (Isolde Assenheimer) weitere kompetente Sängerinnen gewonnen. Jäger selbst singt überzeugend kleine, kurze rezitativische Einwürfe.

Im Verein mit einer auf historischen Instrumenten musizierenden camerata antiqua Tübingen gewinnt diese Passion eine enorme Plastizität und Suggestionskraft. Wer die Aufführung in der Stadtkirche verpasst hat, hat ein allerletztes Mal Gelegenheit, Jäger als Kantorei-Dirigent zu hören. Am Karfreitag, 15 Uhr, Stadtkirche Böblingen, dirigiert er noch einmal die Johannespassion.