Der Reichtum der ganzen Schöpfung

Einmal kindgerecht und einmal für Erwachsene: Böblinger Kantorei führt Haydns "Schöpfung" in zwei Konzerten in St. Maria auf
Gleich in zwei Konzerten präsentierte die Böblinger Kantorei am Sonntag Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung". Unter Mitwirkung von Schülern der Friedrich-Silcher-Grundschule gab es das Werk am Nachmittag in kindgerecht aufbereiteter Form und am Abend für ein erwachsenes Publikum.


Mit freundlicher Unterstützung der Böblinger Kreiszeitung
5.Dez.2011 - Artikel von Jan Renz ; KRZ-Foto: T.Bischof


    BÖBLINGEN. Nein, man kann der Böblinger Kantorei keinen Vorwurf machen, dass sie ein viel gespieltes Oratorium aufs Programm ihres Adventskonzerts setzt. Es gibt Meisterwerke, die muss man immer wieder aufführen, die will man immer wieder hören. Es wird bei jeder Begegnung etwas zu entdecken geben. Auf Haydns "Schöpfung" trifft das auf jeden Fall zu.

    "Mit Staunen sieht das Wunderwerk der Himmelsbürger frohe Schar" heißt es am Anfang. Es liegt nahe, das auf Haydns Partitur zu beziehen. Sie enthält eine Überfülle von reizvollen Details und schildert so den Reichtum der Schöpfung: Das Gewürm kommt genauso zu Wort wie Engel oder Menschen, auch die Natur tönt, sogar der "leichte flockige Schnee" wird in Musik umgesetzt, eine von vielen Schönheiten. Bei jedem Takt hat sich Haydn etwas gedacht. Die Böblinger Kantorei unter Leitung von Eckhart Böhm verhalf allen Wesen zu einer Stimme, in einer detailreichen, spannungsvollen Interpretation.

    Ein Klassiker allerdings konnte wenig mit Haydns "Schöpfung" anfangen: "Einen charakterlosen Mischmasch" nannte Friedrich Schiller das Oratorium. Heute besticht die Vielfalt der Formen und Klänge: Unterschiedlichste Elemente werden zur Synthese geführt. Das konnte man in St. Maria nachvollziehen: Kunstvolles verbindet sich mit Natürlichem, Schlichtes mit Virtuosem, Liedhaftes mit Tänzerischem, Arie mit Rezitativ. Diese Musik eroberte nicht nur die Adelspaläste, sondern auch die bürgerlichen Konzertsäle, und zwar in kürzester Zeit. Viel gelernt hat Haydn von Händel: In London erlebte Haydn die Oratorien Händels und war erschüttert. So etwas wollte er auch machen, in seinem Stil, für seine Zeit. So schuf er einen neuen, formenreichen Typus des Oratoriums, eingängig und komplex, einfach und doch nie eindimensional. Obwohl es kein kirchenmusikalisches Werk ist, wurde es nun in Böblingens St. Maria aufgeführt, vor großem Publikum, das konzentriert zuhörte.

     Am Anfang steht das Chaos. Das ist der Part des Orchesters: Expressiv schilderte der Concentus Böblingen das Tohuwabohu am Anfang oder vor dem Anfang, die scharfen Dissonanzen. Es ist opernhafte Musik, die entsprechend schillernd, mit innerer Spannung dargeboten wurde. Die enorme Sprachfähigkeit Haydns weist auf Beethoven voraus. Haydn zeigt sich in diesem Oratorium als Meister der Instrumentation, und die Musikerinnen und Musiker, vom agilen Kantor Eckhart Böhm zusammengehalten, kosteten die Finessen der Partitur aus. Auch im Chaos verloren sie nicht den Überblick, kam es zu keinem Durcheinander, stark tönte das Solohorn. Man dachte öfter an die Feinheiten von Mozarts "Zauberflöte"

    Ganz sacht setzte der Chor ein: "Und der Geist Gottes schwebte auf der Fläche der Wasser." Das sang der große Chor wirklich schwebend, um dann aufzubrausen: "Es werde Licht." Es ist ein Schockmoment. Gelegentlich tönte die Kantorei auch monumental, aber nie grob oder plakativ, sondern feinsinnig: "Vollendet ist das große Werk" heißt es gegen Ende. Dieser Abschnitt gelang so transparent wie klangschön. Merkwürdig, dass es noch weiter geht, obwohl das große Werk doch vollendet ist: "Adam und Eva preisen Gottes Werk", es ist der schwächste Teil des Oratoriums.

So viel Resonanz wie noch nie

    Dem Chor zur Seite stand ein vorzügliches Trio von Gesangssolisten: Die junge Laura Corrales, in Costa Rica geboren, besitzt noch keine ganz fertige Stimme, klingt aber reizvoll, sie hatte unterschiedlichste Affekte und heikle Koloraturketten zu gestalten. Johannes Petz? Tenor hatte Opernformat: So markig hat man selten einen Solisten in St. Maria gehört. Am Anfang des letzten Teils, da mimt er den Adam, formt er aber jedes Wort sehr sorgfältig und ausdrucksvoll. Mit Nachdruck sang auch Ulrich Wand, Mitglied im Chor der Staatsoper Stuttgart.

    Nach fast zwei Stunden war die große Interpretation vollendet: Solisten, Chor und Orchester fanden sich im abschließenden "Amen" zusammen.

    Vorausgegangen war der Aufführung ein Kinder- und Familienkonzert am Nachmittag. Eckhart Böhm und seine Musikerinnen und Musiker erklärten in 50 Minuten die Schönheiten der "Schöpfung". Böhm geht ja immer wieder in Schulen, um junge Menschen fürs Singen zu begeistern. Das gelingt ihm auch. Beim Kinderkonzert wirkten Schülerinnen und Schüler der Friedrich-Silcher-Grundschule mit, sie bebilderten die Klänge Haydns, so konnte man Tiere und Naturerscheinungen nicht nur hören, sondern auch sehen. Von diesem Zusammenwirken waren die Choristen "sehr angetan", wie man hörte. So viel Resonanz wie am Sonntag hat die von Böhm ins Leben gerufene Reihe der Familienkonzerte noch nie erfahren. Die große Kirche St. Maria war an diesem Nachmittag bis auf den letzten Platz gefüllt. Mancher der kleinen Hörer war etwas erschrocken, wenn die Musik aufbrauste. Haydns "Schöpfung" ist eben nicht nur sanfte Musik, sondern enthält die ganze Schöpfung.