Ein Oratorium voller Wunder


Böblinger Kantorei führt Loewe-Passionswerk auf – Herrenbergs KMD Feige vertritt erkrankten Böhm

Es beginnt mit einem Wunder: Jesus hat den toten Lazarus zum Leben erweckt. Dann entfaltet das Oratorium das bekannte Passionsgeschehen. Die Böblinger Kantorei beschäftigte sich zwei Wochen vor Ostern mit dieser Geschichte: Sie erweckte Carl Loewes Passionsoratorium „Das Sühnopfer des Neuen Bundes“ zu neuem Leben. 


KREISZEITUNG Böblinger Bote - 24.3.2010 - Jan Renz


BÖBLINGEN. Das Werk ist noch unbekannter als der Balladenkomponist selbst, der von 1796 bis 1869 lebte und ein Schüler Zelters war. Sicher waren viele Menschen auf die Aufführung durch die Böblinger Kantorei in der Stadtkirche gespannt, denn diese Musik ist so gut wie nie zu hören. Unterstützt wurde der Chor durch den ausdrucksvoll musizierenden Concentus Böblingen, der diesmal aus einem Streichquartett mit Kontrabass bestand. Die Gesamtleitung hatte Herrenbergs Kirchenmusikdirektor Ulrich Feige, der den erkrankten Kantor Eckhart Böhm vertrat. Feige ist mit der Partitur vertraut, denn er führte das Oratorium schon vor zwanzig Jahren in Herrenberg auf und wird es in einer Woche noch einmal aufführen.


Die Böblinger Kantorei erweckte am Sonntag in der Stadtkirche Carl Loewes Passionsoratorium zum Leben KRZ-Foto: Thomas Bischof

Die Partitur ist kein Wunder, aber sie ist voller wunderschöner Stellen. Sie ist reich an reizvollen Details und lyrischen Momenten, zeigt die Qualitäten eines Liedkomponisten, der Loewe ja auch war. Das vom Chor innig gesungene „lobet den Namen des Herrn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ beispielsweise ist einfach schön und setzt den Text plastisch um.

Loewes Vorbilder sind unüberhörbar. Der Anfang klingt nach Mendelssohn, der erste Choral sehr nach Bach, die späteren Choräle werden eigenständiger. Im Mittelteil des Werks betonte der Chor das Drama: Die Gefangennahme Jesu wurde als düstere Opernszene gestaltet: Judas verrät seinen Meister. Überhaupt gibt es viele Opernmomente (das Programmheft wies auf Bezüge zu Bellini, Wagner und Meyerbeer hin, man begegnet aber auch frühem Verdi). Der Komponist gibt in ausgedehnten Arien Einblicke in das Innenleben der wichtigsten Figuren: Der Bass Teru Yoshihara etwa zeichnete einen verzweifelten Judas. Auch die anderen Solisten, die überdurchschnittlich gut sangen, entwarfen Psychogramme: Wiebke Huhs, Annette Mangold, Wolfgang Frisch und Volker Spiegel. Ähnlich einfühlsam agierte der Chor: Wenn Maria „mit zerrissnem Mutterherzen“ zu Füßen des Kreuzes steht, hebt er die subtilen Dissonanzen hervor. Zum dramatischsten Moment der Aufführung geriet  das Zerreißen des Vorhangs im Tempel. An vielen Stellen fragte man sich, warum dieses Oratorium so unbekannt ist. Es ist doch überreich an gelungenen Momenten und entwirft eine eigene Sicht auf die Passion Jesu. Vielleicht enthält es aber nicht genug einprägsame Höhepunkte wie man sie in  den Oratorien Bachs oder Mendelssohns findet. Loewes ansprechender Stil wirkt etwas unscharf, nicht immer eigenständig. Und manche Passage glänzt durch Glätte.  Irritierend etwa, wenn die Kantorei (nicht ganz sauber) den Chor der Zionstöchter intoniert:

„Fließet, ihr Tränen unaufhaltsamen Strömen zur Erde hin.“ Das klingt nicht traurig oder untröstlich, sondern seraphisch schön.

Das Oratorium endet mit der Grablegung Christi und erinnert gleichzeitig an seine Geburt. Das zentrale Wunder, auf das alles zu läuft, enthält das Oratorium dem Hörer vor: die Auferstehung Christi. Die Aufführung in der Stadtkirche dauerte fast zwei Stunden, Längen mochte man ihr aber nicht bescheinigen, zu abwechslungsreich war die Musik, zu engagiert wurde gesungen.

Wer dieses Oratorium kennen lernen oder es zum zweiten Mal hören möchte: Am Sonntag, 28. März wird es ein weiteres Mal aufgeführt: in der Stiftskirche Herrenberg. Die Leitung hat Ulrich Feige. Beginn ist um 17 Uhr.


Die Zeiten um die kirchlichen Festtage sind auch immer Festtage für die Ohren.

Wenngleich der Reiz durch die allzu häufige Verbeugung vor den jeweiligen Hauptwerken der großen Komponisten am Ende oft nur noch im Vergleichen liegt. Umso lobenswerter, dass sich die Böblinger Kantorei hier auch an dasWerk eines eher unbekannten Komponisten gewagt hat. Eddie Langner